Öffentlicher Dienst in Bayern: Programm zum Gewaltschutz
Immer öfter werden Beschäftigte im öffentlichen Dienst an ihrem Arbeitsplatz durch Bürgerinnen und Bürger beleidigt, bedroht oder körperlich attackiert. Ein Gewaltschutzprogramm des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat fördert die Vorbeugung gegen Gewalt am Arbeitsplatz, die Unterstützung im Ernstfall und die Nachsorge.
Was ist Gewalt gegen öffentlich Bedienstete?
Von Gewalttaten gegen öffentlich Bedienstete spricht man, wenn Beschäftigte psychisch (verbal = mit Worten) oder physisch (= körperlich) angegriffen werden:
- im Dienst.
Beispiel: Eine Frau ist verärgert über einen ablehnenden Bescheid einer Behörde. Sie baut sich vor der Sachbearbeiterin auf, beleidigt und bedroht sie.
- außerhalb des Dienstes, mit unmittelbarem dienstlichem Bezug.
Beispiel: Ein Mann diskutiert im Amt lautstark und wütend mit einem Sachbearbeiter. Als dieser nach Feierabend das Haus verlässt, greift der Mann ihn an und verletzt ihn.
„Gewalt gegen öffentlich Bedienstete“ ist kein eigener Straftatbestand. Doch die einzelnen Gewalthandlungen – zum Beispiel Körperverletzung (§ 223 StGB), Widerstand bzw. tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 113 ff. StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB) oder Beleidigung (§ 185 StGB) – sind strafbar.
Öffentlicher Dienst: Gewalt nimmt zu
„Der Trend zu mehr Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ist klar ersichtlich. Jeder Fall ist einer zu viel“, sagte Bayerns Finanz- und Heimatminister Albert Füracker im November 2020. In einer anonymen Online-Umfrage des Bayerischen Beamtenbundes (BBB) schilderten Beschäftigte unter anderem Fälle von Sachbeschädigung (zerstochene Reifen, beschädigte Brille, zerstörtes Handy ...), massiven Beleidigungen, Verleumdungen und häufig auch körperliche Angriffe, vom Bespucken über Schläge und Ohrfeigen bis zu Messerattacken und Schüssen.
Andere Menschen beraten und unterstützen: ein erfüllender Beruf! Doch immer mehr Beschäftigte in Ämtern oder Jobcentern erleben Konflikte und sogar Gewalt. (Symbolbild)
Unhöflichkeit oder Beleidigung?
Wenn Frau B. im Bürgerbüro heftig und lautstark flucht („Was ist denn das für ein Mist hier?“), ist das für den Sachbearbeiter Herrn S. nicht angenehm. Doch solange das Gestänker sich nicht direkt gegen Herrn S. richtet, ist Frau B. nur unhöflich. Herr S. kann Frau B. zur Mäßigung mahnen – oder er hält sich ans Motto: „Ohren zu und durch“. Schlägt der Zornausbruch aber in persönliche Beschimpfungen um („Du Vollidiot!“), wird Herr S. als Person angegriffen: In diesem Fall macht sich Frau B. strafbar.
Das Programm „Mitarbeiterschutz vor Gewalt“
Um Gewalt in Behörden vorzubeugen und nach möglichen Gewalttaten die betroffenen Beschäftigten gut zu unterstützen, haben das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat und der Bayerische Beamtenbund e. V. (BBB) ein Gewaltschutzprogramm für den öffentlichen Dienst in Bayern entwickelt. Unter dem Titel „Mitarbeiterschutz vor Gewalt“ geht es um
- die Vorbeugung von Gewalt (Prävention),
- das Eingreifen bei Gewalt (Intervention) und
- die Nachsorge für gewaltbetroffene Beschäftigte.
Das Ziel: Vorgesetzte und Beschäftigte sensibilisieren und mit praktischen Anleitungen und Tipps für die Anwendung am Arbeitsplatz versorgen. Wichtige Infos liefern ein Flyer für Beschäftigte, ein Leitfaden für Vorgesetzte und ein Handbuch für die kollegiale Soforthilfe.
Ein Schreibtisch kann Beschäftigte vor einem Übergriff schützen. Wichtig ist bei der Möbilierung von Büros: Fluchtwege offenhalten!
Mitarbeiterschutz vor Gewalt
Das Programm „Mitarbeiterschutz vor Gewalt“ wurde für die bayerischen Behörden entwickelt. Doch auch Unternehmen, Verbände oder Organisationen mit Publikumsverkehr in ihren Räumen können viele der Tipps für sich nutzen! Auf der Website „Mitarbeiterschutz vor Gewalt“ finden Sie alle Infos zur Vorbeugung, zur Intervention und zur Nachsorge. Außerdem können Sie die Leitfäden und Tipps für Vorgesetzte, Beschäftigte sowie kollegiale Soforthelferinnen und Soforthelfer herunterladen.
Was zählt: vorbeugen und notfalls eingreifen!
Nicht alle Bereiche im öffentlichen Dienst sind gleichermaßen von der Gewaltthematik betroffen. Die Umsetzung des Gewaltschutzprogramms beginnt daher mit einer individuellen Risikobewertung. Beim Gewaltschutz sind dann Vorgesetzte und Führungskräfte genauso gefragt wie die Kolleginnen und Kollegen.
Gewalt in Behörden mit Publikumsverkehr vorbeugen: Dazu trägt die technische Gebäudegestaltung genauso bei wie organisatorische Maßnahmen und gut geschulte Beschäftigte. Voraussetzung ist, dass ermittelt wurde, in welchen Bereichen in welchem Umfang Beschäftigte durch Gewaltübergriffe gefährdet sein können. Bei der Umsetzung von Maßnahmen gilt das „TOP-Prinzip“:
Einige Beispiele:
- Keine gefährlichen Gegenstände (wie z. B. Scheren) sichtbar im Büro liegen lassen.
- Keine Bilder (z. B. Familienfotos) im Büro aufstellen, die private Informationen preisgeben.
- Schreibtische oder anderes Mobiliar als schützende Barriere platzieren (ohne den Fluchtweg zu blockieren).
Weitere technische Schutzmaßnahmen finden Sie in der Broschüre Mitarbeiterschutz vor Gewalt ab Seite 51.
Einige Beispiele:
- Falls möglich und zulässig (Datenschutz): Im Büro mindestens zu zweit arbeiten.
- Unbekannte Personen ansprechen, um deren Besuchsanlass herauszufinden („Kann ich Ihnen weiterhelfen?“).
- Termine für Bürgergespräche vergeben, um Wartezeiten zu vermeiden.
Weitere organisatorische Maßnahmen finden Sie in der Broschüre Mitarbeiterschutz vor Gewalt ab Seite 56.
Einige Beispiele:
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig aufklären: über Gefährdungen und sicherheitsbewusstes Verhalten.
- Geeignete Verhaltensstrategien für schwierige Situationen vermitteln. Schwerpunkt: Analyse des eigenen Verhaltens in Konfliktsituationen.
- Deeskalations- oder Selbstbehauptungsseminare anbieten.
Weitere personenbezogene Schutzmaßnahmen finden Sie in der Broschüre Mitarbeiterschutz vor Gewalt ab Seite 62.
Was ist kollegiale Soforthilfe?
Kollegiale Soforthilfe ist ein Angebot auf kollegialer Ebene. Sie gründet in Hilfsbereitschaft und Einfühlungsvermögen und zeigt Gewaltbetroffenen: „Sie sind nicht allein!“
Wer sollte Soforthelferin oder Soforthelfer werden?
Alle, die offen und sensibel auf andere zugehen. Besonders geeignet sind Kolleginnen und Kollegen oder Personalrätinnen und Personalräte, die sich im Arbeitsbereich der Betroffenen auskennen und deren Erfahrungen nachvollziehen können.
Was leistet die kollegiale Soforthilfe konkret?
Kommt es zu einer Grenzüberschreitung oder zu Gewalt, sucht der Soforthelfer oder die Soforthelferin schnellstmöglich das Gespräch mit den betroffenen Beschäftigten und klärt unter anderem:
- Wie geht es Ihnen?
- Brauchen Sie medizinische Hilfe oder andere Unterstützung?
- Sind die Vorgesetzten schon informiert?
- Sollen Angehörige verständigt werden?
Gut zu wissen: Wie die Erste Hilfe am Unfallort ersetzt die kollegiale Soforthilfe nicht die Profi-Unterstützung.
Zum Download: Hier können Sie das „Handbuch für kollegiale Soforthelfer“ herunterladen
Bei der Gewaltvorbeugung lohnt sich der Blick auf Details: Scheren, Brieföffner und andere spitze Gegenstände immer in der Schublade verstauen.
Sie haben Gewalt erlebt? Oder jemand aus Ihrem Team?
- Es wird empfohlen, die zuständigen Vorgesetzten, ggf. auch die Personalvertretung und Personalstelle zu informieren, damit diese beim weiteren Vorgehen unterstützen können.
- Die Stellung von Strafanzeige oder Strafantrag sollte in Erwägung gezogen werden.
- Wenn Schmerzensgeld durchgesetzt werden soll, gewährt der Freistaat Bayern evtl. Rechtsschutz.
- Bei Verletzungen kann Unfallfürsorge gewährt werden.
- Bei längerer Dienst- oder Arbeitsunfähigkeit: Wenden Sie sich an die oder den Beauftragten für das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement.
Gewalt am Arbeitsplatz? Was Sie tun können
- Wenn Gefahr droht:
Setzen Sie Grenzen, sagen Sie laut und deutlich: Stopp!
Rufen Sie Unterstützung, zum Beispiel Ihren Sicherheitsdienst.
- Jemand wird bedroht oder angegriffen?
Unterstützen Sie betroffene Kolleginnen und Kollegen.
Oberstes Gebot: Bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr.
Rufen Sie den Sicherheitsdienst oder die Polizei (Notruf 110).
- Nach einer Gewalthandlung oder Grenzüberschreitung:
Leisten Sie bei Bedarf Erste Hilfe und rufen Sie ggf. die Notärztin oder den Notarzt und die Polizei.
Leisten Sie in jedem Fall kollegiale Soforthilfe.