Illustration: Drei Frauen stehen nebeneinander und schauen in eine Richtung.

Partnerschaftsgewalt: Es kann auch Sie treffen

Angelika Wagner (Name geändert) gehört zu jenen Menschen, denen es auf den ersten Blick an nichts mangelt. Sie ist gebildet, erfolgreich, wohlhabend, angesehen – und hat jahrelang häusliche Gewalt erlitten. Kann nicht sein!? Doch. Gewalt gibt es in allen Gruppen unserer Gesellschaft, auch in den Eliten. Angelika Wagner hat uns ihren Weg aus der Gewalt geschildert, denn: Sie möchte aufklären und andere Betroffene ermutigen!

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Über ...

Angelika Wagner

Illustration: eine „anonyme“ Frau, die Darstellung zeigt sie ohne Augen.

Angelika Wagner lebt in Bayern. Sie ist Mutter und Managerin in einer Führungsposition. In ihrer Ehe mit einem ebenfalls sehr erfolgreichen Partner erlitt sie jahrelang psychische Gewalt. Vor einigen Jahren verließ sie mit ihrem Kind den gemeinsamen Haushalt. Von ihrem Ehemann ist sie heute geschieden; das Kind, inzwischen ein Teenager, lebt bei Angelika Wagner. Um Angelika Wagner und ihr Kind zu schützen, haben wir ihren Namen und einige Details ihrer Geschichte geändert.

Angelika Wagners Geschichte

„Das ist total krank, was ich da erlebe.“

Triggerwarnung

In den folgenden Absätzen wird psychische Gewalt in der Partnerschaft und Familie beschrieben. Wenn Sie sich nicht mit den Schilderungen konfrontieren möchten, können Sie hier zu Angelika Wagners Botschaft oder direkt zu den Hilfe-Infos springen.

Angelika Wagner ist Anfang 20, als sie bei einem gesellschaftlichen Event einen Mann kennenlernt: humorvoll, gebildet, charmant, immer umlagert, begehrt, „ein heißer Typ“, sagt sie noch heute. Er ist älter als sie, in Beruf und Gesellschaft längst an der Spitze angekommen. Er interessiert sich für die kluge und attraktive junge Frau und umwirbt sie heftig. „So wie bei dir war es noch nie“, beteuert er. Angelika Wagner ist stolz, fühlt sich geschmeichelt, von ihm angezogen, verliebt sich. Die beiden werden ein Paar, sie heiraten, bekommen ein Kind. Zunächst schenkt ihr Mann Angelika Wagner alle Aufmerksamkeit und Zuwendung. „Ich fühlte mich im Paradies angekommen“, schildert sie. „Alles war super rosa ...“ Sie verdient ihr eigenes Geld, macht Karriere, verankert sie beide als Paar gesellschaftlich noch fester. Wann ihr Mann beginnt, sie zu quälen, kann sie im Rückblick nicht festmachen. „Das hat sich langsam eingeschlichen, wie beim Boiling-Frog-Syndrom.“

Was ist das Boiling-Frog-Syndrom?

Als „Boiling-Frog-Syndrom“ beschreibt man das Verhalten von Menschen, die eine zunehmend belastende Situation (zum Beispiel im Beruf oder in der Partnerschaft) sehr lange ertragen – bis zur Selbstauflösung. Der Hintergrund: Wirft man einen Frosch in heißes Wasser, rettet er sich mit einem Sprung hinaus. Setzt man ihn aber in einen Topf mit kaltem Wasser und steigert die Temperatur sehr langsam, passt sich der Frosch als wechselwarmes Tier zunächst immer wieder an. Erst wenn die Temperatur unerträglich wird, versucht er zu entkommen – doch inzwischen hat ihn die Hitze zu sehr geschwächt.

Kritik und vergiftete Komplimente

Angelika Wagner nennt sich selbst „ein robustes Schlachtross“ und sagt: „Ich wirke immer sehr tough.“ Jedenfalls nach außen. Doch in ihrer Ehe hat sie es mit einem Täter zu tun, der sie durch und durch kennt und weiß, wie er sie verwunden kann. Es beginnt mit Kritik an ihrem Äußeren: „Hast du zugelegt?“ Angelika Wagner fühlt sich getroffen, auch in ihrem Streben nach Perfektion. Es folgen vergiftete Komplimente. Als sie im Job aufsteigt, beglückwünscht ihr Mann sie – und sagt im selben Atemzug: „Wie gut, dass keiner weiß, dass du das gar nicht draufhast ...“ Wieder und wieder greift er ihr Selbstwertgefühl an, erst stichelt er nur, dann sticht er immer brutaler zu. Gedrängt und manipuliert von ihrem Mann sucht Angelika Wagner die Schuld bei sich selbst. Hat sie ihren Mann gekränkt, hat sie ihm nicht genug Liebe geschenkt? Kann sie seinen Ansprüchen nicht genügen? Ihr Selbstbewusstsein bröckelt. Doch noch immer hofft sie, dass wieder Harmonie in ihre Beziehung einkehrt.

Erlebe ich Gewalt?

Gerade in einer Liebesbeziehung ist oft schwierig, Gewalt zu entlarven. Diese Anhaltspunkte helfen:

  1. Gewalt tut weh, körperlich und/oder seelisch.
  2. Gewalt geschieht nicht aus Versehen (= Unfall), sondern mit Absicht.

Gut zu wissen: Ob eine Handlung Gewalt ist, bewertet das Opfer, nicht der Täter oder die Täterin!

Ich erlebe (vermutlich) Gewalt!

Sie sind nicht selbst schuld! Und Sie sind nicht allein, es gibt Hilfe. Oft fällt es schwer, sich anderen anzuvertrauen, selbst guten Freundinnen oder Freunden. Tipp! Wenden Sie sich an eine Beratungsstelle für häusliche Gewalt (hier können Sie passende Angebote suchen). Dort können Sie sich mit Beraterinnen und Beratern austauschen, die vorurteilsfrei zuhören und Sie kompetent unterstützen. Sie können sich auch anonym beraten lassen. Die kostenfreien Beratungsangebote sind für alle da, unabhängig vom Einkommen: Sie können sie mit gutem Gewissen in Anspruch nehmen.

Auch das Kind wird zum Opfer der häuslichen Gewalt

Eines Tages verstrickt ihr Mann zum ersten Mal das gemeinsame Kind in seine gewaltsamen Machtspiele. „Deine Mutter kann ja nichts!“, höhnt er. Von nun an setzt er Angelika Wagner immer wieder ganz gezielt vor dem Kind herab. Angelika Wagner geht dazwischen: Sie will unbedingt verhindern, dass ihr Kind instrumentalisiert wird und die Erniedrigungen miterleben muss. „Siehst du, wozu du mich bringst“, herrscht er seine Frau an, als sie sich schützend vor ihr Kind stellt. 

Manipulation und Gaslighting

Systematisch weist ihr Mann Angelika Wagner die Verantwortung für seine eigenen Übergriffe und Exzesse zu. Er lügt sie an, verunsichert sie gezielt und erschüttert ihr Selbstvertrauen. Als Angelika Wagner die Unterwäsche einer fremden Frau unterm Sofa entdeckt und ihren Mann zur Rede stellt, verdreht er so lange die Tatsachen, bis sie an ihrer Urteilskraft zweifelt – und ihn um Verzeihung bittet. (Diese Form von psychischer Gewalt, die gezielt die Wahrnehmung untergräbt, nennt man Gaslighting: zur Themenseite.)

Im Beruf dienen Hierarchien der Ordnung von Prozessen. In diesem professionellen Umfeld kann ich führen. Im Privaten habe ich das anders vorgelebt bekommen, ich suche den Kontakt auf Augenhöhe, ich bin empathisch und pflichtbewusst. Männer wie mein Ex-Mann suchen sich ganz bewusst Frauen wie mich. Ich wollte kein Opfer sein, aber für sie passe ich ins Beuteschema.

Schließlich macht er sie auch vor Außenstehenden klein, schnauzt sie an, stellt sie als dumm und unfähig dar. Einige Menschen aus ihrem Umfeld sprechen Angelika Wagner an: „Dein Mann ist aber greislich zu dir ...“ Ihr Mann sucht offenbar zunehmend Publikum für seine Gewalthandlungen. Angelika Wagner hält die Fassade aufrecht, auch wenn es sie mehr und mehr Kraft kostet. Energie, die ihr fehlt, um die Übergriffe ihres Mannes abzuwehren.

„Es wurde enger – und bedrohlicher.“

Dann driftet die Gewalt zunehmend ins Körperliche. Ihr Mann wirft mit Fäkalien verschmutzte Kleidung in Angelika Wagners Bett. Immer wieder hält er sie grob an den Armen fest oder stellt sich in die Tür und versperrt ihr den Weg, wenn sie das Zimmer verlassen will. „Die Unterwerfung wurde körperlich“, sagt Angelika Wagner, „es wurde enger – und bedrohlicher“.

Ihr Kind benennt als Erstes die Gewalt

Doch noch steckt Angelika Wagner fest in einer Schlinge aus Scham, Selbstzweifeln – und Pflichtbewusstsein: Die Ehefrau und Mutter will die Familie unbedingt zusammenhalten. „Ich dachte die ganze Zeit: Ich muss das für mein Kind aushalten. Aber mein Kind hat das alles brutal wahrgenommen. Und dann kam es eines Nachts zu mir ans Bett und sagte: Für mich musst du das fei nicht machen. Ich will hier weg!“

Ihr Kind hat die Situation erfasst und weist den Weg. Für Angelika Wagner ist diese Erkenntnis gleichzeitig Schock und Befreiungsschlag. Sie spricht mit einer Therapeutin  und erlebt starken Support: „Die Therapeutin hat mir die Augen geöffnet. Sie hat gesagt: „Das ist nicht Ihre Schuld. Ihr Mann darf nicht so mit Ihnen umgehen“.

Mein Kind hat gesagt: „Ich wollte, er hätte uns verprügelt, dann hätte man etwas gesehen.“

Motiv: Eine Kinderzeichnung einer Familie. Text: „Meine glückliche Familie. Bis Papa angefangen hat, Mama zu hauen.“

Gewalt in der Partnerschaft (be-)trifft auch die Kinder. Sie leiden massiv, wenn sie psychische oder körperliche Gewalt zwischen den Eltern oder Stiefeltern miterleben. Die Erfahrung kann sie nachhaltig belasten. Hier finden Kinder und Jugendliche Infos über Gewalt, ihre Rechte und über Anlaufstellen: zur Jugendseite „Was ist Gewalt? Wer hilft mir?“

In mehreren Schritten gewinnt Angelika Wagner Abstand. Als Erstes gesteht sie sich selbst ein: „Das ist total krank, was ich da erlebe. Ich habe verstanden: Das ist kein gestresster Mann, der mehr Liebe braucht, sondern ein fieser Kerl, der seine Frau und sein Kind misshandelt, der seinen sadistischen Machttrieb auslebt.“ Als ich mir das klargemacht habe, wurde ich wieder die Alte.“  Sie öffnet sich gegenüber zwei engen Freundinnen und ihren Eltern. Ihre Vertrauenspersonen machen sofort klar, dass sie ihr glauben und uneingeschränkt zu ihr stehen. Sie bestärken Angelika Wagner: „Das darf er nicht!“ Und sie raten ihr: „Nimm die Beine in die Hand und lauf!“ Und sie läuft. Bei Nacht und Nebel verschwindet sie mit ihrem Kind aus dem gemeinsamen Haus.

Gewalt in Ihrem Umfeld? So können Sie helfen ...

Ob im Freundeskreis, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz: Schauen Sie genau hin, wenn Sie vermuten, dass eine Person (zum Beispiel häusliche) Gewalt erleidet. Sprechen Sie die betroffene Person behutsam an. Hören Sie zu. Bieten Sie Unterstützung an. Weisen Sie auf Anlaufstellen hin! Hier finden Sie Infos, Tipps & Adressen für Unterstützer/innen.

Gut zu wissen: Auch wer nicht selbst von Gewalt betroffen ist, kann sich an Beratungsstellen wenden!

Ich habe verstanden: Das ist kein gestresster Mann, der mehr Liebe braucht, sondern ein fieser Kerl, der seine Frau und sein Kind misshandelt.

Zunächst kommen Mutter und Kind bei Freunden unter. Es ist ein riesengroßer Schritt für Angelika Wagner. Sie verlässt nicht nur die toxische, gewaltbelastete Beziehung, sondern auch den Komfort, die Villa, das luxuriöse Leben, die materielle Sicherheit. Und sie verlässt das gemeinsame soziale Netzwerk, den Bekanntenkreis. „Aber ich war endlich wieder frei im Kopf, ich konnte wieder klar sehen. Das war wie ein Pflaster, das man mit einem Ruck abreißt.“

Positive Erfahrung auf dem Polizeirevier

Ihr Mann, der Machtmensch, empfindet den Machtverlust offenbar als schweren Schlag – und holt zum Gegenschlag aus. Er überwacht Angelika Wagner, lauert ihr auf, verfolgt sie. Angelika Wagner weiß, sie braucht professionelle Unterstützung. Doch sie hat keine Ahnung, an welche offizielle Stelle sie sich wenden könnte – und wer ihr glauben würde: der erfolgreichen, perfekten Businessfrau mit Promi-Status, mit dem bekannten, geachteten Mann.

Sie erleben häusliche Gewalt und/oder werden gestalkt?

Sie können bei Ihrem Amtsgericht Gewaltschutz beantragen. Das Gericht kann dem Täter oder der Täterin zum Beispiel verbieten, Ihre Wohnung zu betreten (übrigens auch dann, wenn er oder sie die Wohnung gemietet hat oder Eigentümerin oder Eigentümer ist), sich im einem bestimmten Umkreis Ihrer Wohnung aufzuhalten, an bestimmte Orte zu kommen (zum Beispiel in die Nähe Ihres Arbeitsplatzes oder der Kita oder Schule Ihres Kindes), Sie anzurufen, Ihnen Mails oder Kurznachrichten zu schicken. Infos zum Gewaltschutzgesetz, Tipps und Adressen finden Sie im Flyer „Häusliche Gewalt“ (PDF herunterladen).

Schließlich geht sie wegen des dauernden Nachstellens (Stalking) zur Polizei. Sie fühlt sich beklommen, rechnet mit Vorurteilen und Ablehnung. „Aber das war die angenehmste Situation in der ganzen Geschichte“, erzählt Angelika Wagner. „Das waren ganz junge Männer, sie sahen aus wie frisch gecastet für ein Anwerbevideo der Polizei. Und diese jungen Beamten waren so nett und sind mir ganz wertungsfrei begegnet. `Da müssen’s Eana nix denken, das passiert in den besten Familien, das haben wir andauernd´, haben sie mir gesagt. Das hat mir SO geholfen!“ Auf Anraten der Polizeibeamten erstattet sie Anzeige. Sie weiß, es ist schwierig bis unmöglich, Stalking und andere Formen psychischer Gewalt nachzuweisen. Aber sie möchte ein Zeichen setzen, gegen ihren Mann und für sich selbst.

Ich war endlich wieder frei im Kopf, ich konnte wieder klar sehen. Das war wie ein Pflaster, das man mit einem Ruck abreißt.

Angelika Wagner findet eine Wohnung, richtet sich ein. Methodisch organisiert sie den neuen Alltag für sich und ihr Kind. Sie unterstützte ihr Kind dabei, in der Sorge um die Mutter loszulassen und wieder Teenager zu sein. Zweimal wechselt sie den Anwalt. „Ich fühlte mich nicht ernstgenommen; sie haben mir ihre Emotionen übergestülpt.“ Sie möchte die juristische Aufarbeitung, den Streit ums Sorgerecht und die Scheidung auf ihre Art klären: rational und analytisch. „Ich wollte die Sache wie einen Case abgewickelt haben, ganz sachlich.“

Angelika Wagner findet ihren eigenen Standpunkt wieder

Zwei Jahre später hat Angelika Wagner „das Übelste hinter sich gebracht“. Die Scheidung ist durch und der Versuch des Ex-Manns, das Sorgerecht an sich zu ziehen, erfolgreich abgewehrt. Vor Gericht und im Umgang mit Ämtern haben Mutter und Kind belastende Momente erlebt, mussten kämpfen, konnten sich aber durchsetzen. Zu zweit gestalten sie jetzt ihren Alltag.

Angelika Wagner macht sich auf die Suche nach sich selbst. „Ich hatte mir SEINE Meinungen und SEINE Ziele komplett zu eigen gemacht. Ich musste mich innerlich reinigen und alle meine Ansichten einer Komplettrevision unterziehen.“ Sie definiert und bezieht wieder eigene Standpunkte, im Großen wie im Kleinen. Angelika Wagner findet heraus, ob sie gerne Hackbraten isst – und genauso, welche Ziele im Leben ihr wirklich wichtig sind. 

Illustration: Zwei Frauen sitzen eng beieinander auf dem Boden.

Ihr Kind hatte Angelika Wagner ermutigt, den gewalttätigen Mann und Vater zu verlassen. Inzwischen haben sich die beiden wieder ein gutes, ganz normales Leben aufgebaut.

Zwei weitere Jahre sind vergangen, als Angelika Wagner uns ihre Geschichte erzählt. „Beim Beschreiben ziehen sich mir immer noch Kehle und Bauch zusammen“, sagt sie. „Aber ich lebe jetzt unbeschwert. Und ich stehe finanziell und gesellschaftlich auf eigenen Füßen.“ Angelika Wagner atmet durch. „Früher“, sagt sie, und meint die Zeit der Beziehungsgewalt, „früher war ich fast überenergetisch. Ich war in einer dauernden Habachtstellung.“ Heute hat sie innere Ruhe und Zufriedenheit gefunden. „Ich kann jetzt spazieren gehen und einen Baum wahrnehmen. Ich bin wieder offen: Ich kann jetzt überhaupt wieder fühlen.“

Wer sich schämen sollte

Angelika Wagner heißt in Wirklichkeit anders. Sie hat ein Pseudonym gewählt, um nicht erkannt zu werden. Die Angst, mit ihrer Geschichte auf Unverständnis und Ablehnung zu stoßen, teilt Angelika Wagner mit vielen gewaltbetroffenen Menschen. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der sich „Frauen wie ich mit ihrer Geschichte nicht in der Anonymität verstecken müssen, weil sie Sorge vor beruflichen und gesellschaftlichen Konsequenzen haben – Stichwort: `dumm, schwach, selbst schuld´ oder `kann nicht sein´. Die Menschen, die ihrer Partnerin oder ihrem Partner Gewalt antun, sollten sich schämen. Egal, wie angesehen und einflussreich sie sind.“

Was zählt, ist nicht die Mitgliedschaft im Golfclub

„Wenn der Mann der Einflussreichere ist, fliegt man bei einer Trennung aus diesen Kreisen. Ich kann nicht mehr in den Golfclub“, meint Angelika Wagner und in ihrer Stimme klingt kein Bedauern, sondern leises Lachen. Sie hat ihre guten alten Freundinnen und Freunde behalten und einen neuen Bekanntenkreis aufgebaut. Sie ist selbstbewusst, lebt unabhängig und selbstbestimmt. Angelika Wagner ist die Gewalt los. Und sie ist frei.

Eine Therapeutin hat mir die Augen geöffnet. Sie hat gesagt: „Das ist nicht Ihre Schuld. Ihr Mann darf nicht so mit Ihnen umgehen.“ Sie hat mir die professionelle Absolution erteilt.

Angelika Wagner: meine Botschaft

Nicht an der Gewaltbeziehung festhalten!

Über ihre Gewalterfahrung wissen nur Angelika Wagners engste Vertraute Bescheid. „Ich gehe sehr sparsam mit diesen Infos um“, sagt sie. „Trotzdem habe ich drei Frauen kennengelernt, die Ähnliches erlebt haben.“ Es gab Gerüchte, Blicke, ein gegenseitiges Abtasten, Andeutungen: „Es war wie beim Mikado spielen: Wer wackelt als Erste“, lacht sie. Schließlich öffneten sie sich und sprachen über ihre Erfahrungen. Für Angelika Wagner eine Bestätigung: „Diese vielen Fälle von psychischer Gewalt, es gibt sie tatsächlich. Und die anderen betroffenen Frauen: Das sind auch alles keine Hascherl.“  Angelika Wagners Botschaft an andere gewaltbetroffene Frauen und Männer:

Ich kam gar nicht auf die Idee, eine Beratungsstelle zu suchen. Heute weiß ich: Man kann auch Opfer psychischer Gewalt sein und Hilfe in Anspruch nehmen, wenn man in einer Wahnsinnsvilla lebt und Business Class fliegt. Halten Sie nicht an einer Gewaltbeziehung fest. Als ich wegging, kam es mir erst so vor, als würde die Welt zusammenbrechen. Heute wundere ich mich darüber, was mir früher wichtig war. Ich lebe völlig normal. Es geht mir gut. Ich habe jetzt innere Ruhe und Zufriedenheit. Und mein Kind steht jetzt superstabil da.

Forschung: Wie blicken Etablierte und Performer auf Gewalt?

Ergebnisse der Studie „Gewalt und Milieus“

In der Studie „Gewalt und Milieus“ untersuchte das DELTA-Institut für Sozial- und Ökologieforschung, Penzberg, was Menschen unter Gewalt verstehen. Dafür wurden Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus in Bayern zu Gewalt und Gewalterfahrungen befragt. Auftraggeber war das Bayerische Sozialministerium. Auf Grundlage der Studie sollen passgenaue präventive (= vorbeugende) Maßnahmen gegen Gewalt entwickelt werden.

Das DELTA-Institut hat neun Milieus in unserer Gesellschaft definiert. Die größte Gruppe bildet die bürgerliche Mitte. Weitere Milieus sind zum Beispiel Konservative, Traditionelle, Benachteiligte und Hedonisten. Angelika Wagner ist im Milieu der Etablierten oder Performer angesiedelt. Was beide Milieus verbindet: Sie sind davon überzeugt, dass Gewalt in ihren Kreisen nicht vorkommt.

Wer sind „Etablierte“ und „Performer“?

Etablierte sind überdurchschnittlich hoch gebildet, meist voll berufstätig, oft in Führungspositionen, und verfügen über hohe und höchste Einkommen und Vermögen. Sie sehen sich selbst als ökonomische, politische und kulturelle Elite. Sie haben hohe Ansprüche an sich und andere.

Performer haben ein hohes Bildungsniveau und oft akademische Abschlüsse. Viele Performer arbeiten selbstständig, freiberuflich oder als leitende Angestellte (v. a. in Marketing, Einkauf, Vertrieb und Media). Sie verfügen über gehobene bis höchste Einkommen. Sie sehen sich als Trendsetter und Angehörige einer jungen Elite.

In seinem Abschlussbericht zur Studie schreibt Institutsleiter Professor Dr. Carsten Wippermann über die Wahrnehmung von Gewalt ...

  • im Milieu der Etablierten: „Im eigenen Familien- und Freundeskreis gibt es keine Gewalt: Gewalt hat hier keinen Platz, findet nicht statt, ist tabu. Hingegen nehmen sie außerhalb ihrer Lebenswelt (...) ein hohes Maß von Gewalt in der Gesellschaft wahr, die aus ihrer Sicht in den letzten Jahren zugenommen hat (...).“
  • im Milieu der Performer: „Einerseits erleben sie, dass die Gesellschaft von alltäglicher Gewalt durchdrungen ist (...). Andererseits sind sie selbst nicht in Gewalt involviert, üben keine Gewalt aus, sind auch nicht Opfer von Gewalt: In ihrem privaten Leben herrscht weitgehende Gewaltfreiheit; Täter und Opfer von Gewalt sind andere anderswo.“

Fakt ist: Häusliche Gewalt trifft nicht nur die anderen. Häusliche Gewalt geschieht überall – in der Hochhaussiedlung und im Villenviertel, bei Jung und Alt, Arm und Reich, in stark belasteten Beziehungen genauso wie beim vermeintlichen Traumpaar aus besten Kreisen. Ob Sie selbst betroffen sind oder einen gewaltbetroffenen Menschen unterstützen möchten: Nutzen Sie die vielfältigen Beratungs- und Hilfeangebote.

Hier finden Sie Hilfe

Sie erleben ein Machtgefälle in der Beziehung? Druck? Übergriffe? Gewalt?

Manchmal beginnt es mit einem Unbehagen. „Er“ oder „Sie“ verhält sich anders Ihnen gegenüber und Sie fühlen sich zunehmend unwohl. Vielleicht erleben Sie sich als überwältigt, machtlos, ausgeliefert. Oder Sie erleben konkrete psychische oder körperliche Gewalt, zum Beispiel Beleidigungen, Demütigungen, Freiheitsentzug oder Schläge.

Unser Tipp! Bleiben Sie nicht allein. Vertrauen Sie sich jemandem an, der guten Freundin, dem Angehörigen. Oder vielleicht fällt es Ihnen leichter, sich – auch anonym – mit erfahrenen, kompetenten Kräften in einer Beratungsstelle auszutauschen, die Ihnen offen und vorurteilsfrei begegnen. Sie bieten Ihnen Orientierung, klären Sie über Ihre Möglichkeiten und Rechte auf und vermitteln Sie bei Bedarf an weitere geeignete Beratungs- oder auch an Schutzeinrichtungen. Unser Hilfe-Finder lotst Sie zu geeigneten Anlaufstellen bei häuslicher Gewalt. Geben Sie im Suchfilter Ihren Ort oder Ihre Postleitzahl ein, um das Ergebnis einzugrenzen.

Hier finden Sie ausgewählte überregionale Beratungs- und Hilfeangebote:

HÄUSLICHE GEWALT: BERATUNG & HILFE